Beurteilung der familiären Situation

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Beobachtungen bei Eltern und Begleitpersonen

Um einen Verdacht auf Kindesmisshandlung zu erhärten, kann der Arzt durch Beobachten der Eltern oder Begleitpersonen weitere Hinweise erhalten. Eltern, die ihr Kind misshandelt haben, verhalten sich in vielerlei Hinsicht anders als Eltern, deren Kinder durch einen Unfall verletzt wurden. So lehnen manche Eltern eine adäquate Behandlung oder weitergehende Untersuchungen ab, obwohl dieses dringend angezeigt wäre. Viele Eltern berichten zudem widersprüchlich von dem "Unfall", der sich zugetragen haben soll. Der Befund passt nicht zur Schilderung des Unfallhergangs.

Unangemessene Reaktionen der Eltern

Die Reaktion der Eltern kann der Verletzung nicht angemessen sein. Sie ist entweder übertrieben oder untertrieben. Manchmal klagen Eltern im Detail über Belanglosigkeiten, die in keinem Zusammenhang zur Verletzung stehen.

Umgang der Eltern mit dem Kind

Ein Kind kann deutliche Anzeichen von Pflegemangel und Unterernährung aufweisen, die Eltern stellen sich jedoch als perfekte Eltern dar. Der Entwicklungsstand des Kindes kann nicht altersgerecht sein, wobei die Eltern dies aber nicht berücksichtigen. Der Umgang mancher Eltern mit dem Kind kann ständig lieblos oder überfordernd sein oder die Erwartungen an das Kind sind völlig unrealistisch. Gegebenenfalls werden Erregungszustände oder ein Kontrollverlust bei den Eltern beobachtet.


Anamneseerhebung im sozialen Nahbereich

Im Rahmen der Anamneseerhebung sollten sich der behandelnde Arzt unbedingt auch ein Bild bezüglich des Vorkommens von Belastungsfaktoren im sozialen Umfeld des Kindes bzw. Jugendlichen machen.

Hierbei können Fragen zur Familiensituation helfen:

  • Wer gehört zur Familie?
  • Ist jemand weggegangen (Todesfall, Partnerverlust, Trennung) oder dazugekommen (Geschwisterkind, neuer Partner)?
  • Wen gibt es sonst noch an Angehörigen?
  • Wie geht es den Eltern, der Mutter?
  • Wie kommt die Mutter mit dem Kind (den Kindern) zurecht?
  • Gibt es Konflikte in der Familie (mit dem Kind, Partner, Alkohol, Schulden)?
  • Hat das Kind schulische Probleme?
  • Wie ist die Wohnsituation?
  • Gibt es Spielsachen für das Kind, hat es ein eigenes Bett?
  • Wie ist der Kontakt zu Angehörigen?
  • Gibt es Nachbarn, Freunde, Bekannte, an die man sich auch im Notfall wenden kann?
  • Wer hat die bisherigen Vorsorgeuntersuchungen gemacht?
  • Haben die Eltern oder das Kind Kontakt zum Jugendamt oder Beratungsstellen?

Familiäre Interaktion

Als weiteres diagnostisches Kriterium soll die Beobachtung der Interaktion zwischen Kind und Eltern beschrieben werden. Misshandlung kann als gewalttätiger Lösungsversuch und als Scheitern der Eltern-Kind-Beziehung verstanden werden. Ablehnung des Kindes durch die Eltern und problematische Eltern-Kind-Beziehungen können bereits in den ersten Lebensmonaten festgestellt werden (Engfer, 1990; Esser und Weinel, 1990).

Elterliche Ablehnung

Das Konstrukt elterlicher Ablehnung beschreibt eine rigide, von hohen unrealistischen Erwartungen an das Kind geprägte Erziehungshaltung. Die Art der elterlichen Zuwendung wird dem Kind nicht gerecht.


Hinweise auf Ablehnung und Vernachlässigung

In den Richtlinien für die Früherkennungsuntersuchung (1991) werden für das Säuglingsalter u.a. die folgenden Hinweise auf Ablehnung und Vernachlässigung durch die Mutter angegeben:

  • Wenig freundlicher Umgang mit dem Kind, z.B. Mutter lächelt wenig.
  • Geringe Zärtlichkeit, z.B. kaum zärtliche Berührungen; Mutter vermeidet Körperkontakt mit dem Kind.
  • Häufig verbale Restriktionen, z.B. sehr negative Feststellungen über das Kind, Vorwürfe in sehr ärgerlichem Ton.
  • Mutter übergeht deutlich die Signale des Kindes (lächeln, quengeln, schreien).
  • Reaktives (soziales) Lächeln des Kindes fehlt (mangelnder Blickkontakt).
  • Die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist von Unsicherheit, geringer Vorhersagbarkeit und mangelnder Verlässlichkeit gekennzeichnet.
  • Die Mutter wirkt überfordert und nimmt das Kind nicht in seinen kindlichen Bedürfnissen, sondern als "ebenbürtig" wahr.

Mutter-Kind-Beziehung

Dabei wird von der Beziehung zwischen Mutter und Kind gesprochen, da in über 90% der Fälle die Mutter die Begleitperson des Kindes in der Praxis oder Klinik ist. Gleichzeitig ist nur wenig über die Beziehungen von Vätern zu ihren Kindern bekannt, da sich die Forschung der Interaktionsbeobachtung bis auf wenige Ausnahmen (Frank et al., 1997 ) ausschließlich mit den Müttern befasst. In Fällen von Inzest kann man manchmal eine übertrieben wirkende Fürsorge durch die männlichen Begleitpersonen beobachten.

Hausbesuch

Bei einem Hausbesuch kann der Arzt den Lebensraum des Kindes beurteilen. Der niedergelassene Arzt hat gegenüber dem Klinikarzt den Vorteil, die soziale Situation und die Lebenssituation des Kindes zu sehen und in seine differentialdiagnostischen Überlegungen mit einfließen zu lassen.