Notmaßnahmen bei unmittelbar drohender Gefahr für das Kind

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Bei Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung handelt es sich um langfristige Prozesse, an deren Ende möglicherweise eine hohe physische und psychische Gefährdung des Kindes steht.

Nach dem Besuch in Ihrer Praxis müssen Sie grundsätzlich davon ausgehen, dass sich das zuvor untersuchte Kind in einer so genannten gegenwärtigen Gefahr zumindest für seine Gesundheit befindet. In dem für die Ordnungsbehörden und damit auch die Jugendämter und die Polizei geltenden Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SOG M-V) wird in § 3 (3) eine gegenwärtige Gefahr definiert als "eine Sachlage, bei der das die öffentliche Sicherheit oder Ordnung schädigende Ereignis bereits eingetreten ist (Störung) oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht". Als erhebliche Gefahr wird in § 3 (3) SOG M-V eine Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut, u. a. Leben und Gesundheit definiert, so dass im Falle des von Ihnen untersuchten Kindes i. d. R. von einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr ausgegangen werden muss. Da es sich hier um die Abwehr der Gefahr und die Verhütung weiterer Gefahren handelt, sind die Anforderungen an die Bewertung erheblich niedriger als z. B. in einem Strafverfahren, in dem es um die rechtskräftige Verurteilung eines Angeklagten geht.

Der Anschein einer gegenwärtigen Gefahr, die grundsätzlich schwerer wiegt als Ihre Schweigepflicht, reicht hier bereits aus. Aus diesem Grund ist in jedem Einzelfall genau abzuwägen, um Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu treffen oder zumindest zu initiieren.


 

Abgestufte Reaktion auch im Gefahrenfall möglich

Um besonders in Krisensituation angemessen zu reagieren, sollten Sie Ihr Verhalten an folgenden Überlegungen ausrichten:

  • Im Notfall - Gefahr für Leben, Suizidgefahr, Gefahr der unkontrollierbaren Gewaltbereitschaft, Eskalation von Familienkonflikten vor oder an Wochenenden - sollte sofort der Rettungsdienst oder die Polizei verständigt werden.
  • In den Fällen, die ein sofortiges Eingreifen erfordern, ist entsprechend der Gefahrenbewertung eine abgestufte Reaktion möglich:
    • Kontaktaufnahme mit dem Kinder- und Jugendnotdienst des Amtes für Jugend (Dokumentation),
    • Krankenhauseinweisung (Dokumentation),
    • Information der Allgemeinen Sozialen Dienste (Dokumentation),
    • Einschaltung der Polizei (Dokumentation).
  • Die entsprechenden Maßnahmen sind gegenüber den Eltern bzw. den Begleitpersonen des Kindes eindeutig zu begründen ("Ich muss jetzt die Allgemeinen Sozialen Dienste anrufen, weil ...")
  • In der Praxis auftretende Zweifelsfälle können Sie durch einfache Maßnahmen entschärfen (z. B. ein kurzes Erstgespräch, die Bitte um Aufenthalt im Wartezimmer, die Ablenkung durch Zeitschriften
  • oder andere Medien, eine zwischenzeitliche Informationseinholung bei einem Kollegen oder Kooperationspartner, ein ausführliches Wiederholungsgespräch).

Die Einschätzung einer unmittelbaren Gefahrensituation für das Kind muss von Ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung vorgenommen werden. Sofern der Fall erstmalig in der Praxis vorstellig wird, ist das Einbeziehen weiterer Stellen aus Zeitgründen meist nicht möglich. Diese Situation ist jedoch selten.

Gemeinsames Fallmanagement sichert Verfügbarkeit von Zweitmeinungen im Krisenfall

Es gibt Situationen, bei der innerhalb einer längeren Betreuung ein Fall plötzlich eskaliert. In diesem Fall kann eine Zweitmeinung dann zeitnah eingeholt werden, wenn der Fall bei einem Kollegen oder bei Kooperationspartnern bereits anonym oder namentlich bekannt ist. Die Voraussetzungen hierfür werden durch ein gemeinsames Fallmanagement geschaffen. Das gemeinsame Fallmanagement ist in diesem Sinne somit auch eine Vorbeugung für den Krisenfall in der Praxis. Die Anonymisierung des Falls stellt eine Möglichkeit dar, sich ohne Verletzung der Schweigepflicht kompetenten Rat einzuholen. Zu beachten ist hierbei, dass eine Anonymisierung nicht immer dadurch erreicht wird, dass man den Namen der Betroffenen nicht nennt, da in manchen Fällen für die Identifizierung bereits die Schilderung der Umstände ausreichend sein kann.